Auszug aus: Thomas Albrich/Nikolaus Hagen, Militärische Fliegerei – Von den Anfängen bis zum Ende des Ersten Weltkriegs: Ausbildung, Rekorde, Abstürze, Truppengliederung und Flugzeuge, in: Thomas Albrich/Nikolaus Hagen (Hrsg.), Österreich-Ungarns Fliegerasse im Ersten Weltkrieg 1914–1918, Innsbruck 2019, S. 15–25. Vollständige Quellen- und Literaturangaben finden Sie im Buch.
„Der Dienst bei der Luftschifferabteilung erweist sich nicht nur äußerst gefährlich, sondern auch sehr aufregend und erheischt deshalb eine vollkommene gesunde Konstitution sowohl des Fliegers, wie des Luftschiffers.“
k.u.k. Luftschifferabteilung Res. E. P. Nr. 2 an das Kriegsministerium, Januar 1913. ÖStA, KA, LFT, Karton 267, Gruppe 15 Ausbildung
Die frühe Fliegerei war ausgesprochen unfallträchtig: Bruchlandungen, Unfälle, Abstürze waren Teil der Fliegersozialisation. 1912 verzeichnete man im Deutschen Reich 28 tote Piloten, die bei Abstürzen ihr Leben verloren hatten. In einem undatierten zeitgenössischen Bericht des k.u.k. Hauptmanns Feldpilot Erich Kahlen über die militärische Ausbildung 1913–1914 heißt es:
„Der Staat übernahm gegenüber dem Flugzeugführer während und nach der Ausbildung keine Verbindlichkeiten. Eine Art Lebensversicherung der Personen der Luftschifferabteilung kannte man nicht und wurde auch von keiner Versicherungsgesellschaft übernommen.“
Hauptmann Feldpilot Erich Kahlen, Ausbildung mit dem Flugzeug 1913–1914, Manuskript 12 S., o. J. ÖStA, KA, LFT, Karton 267, Gruppe 15 Ausbildung.
Kein Wunder, dass sich zu Beginn nur sehr wenige Wagemutige zu den Fliegertruppen meldeten und das ganze Flugwesen das Betätigungsfeld von – oftmals finanzstarken – privaten Hasardeuren und Enthusiasten war.
Wie niedrig die Anforderungen waren, um überhaupt Pilot werden zu können, zeigen die folgenden Bestimmungen des Deutschen Luftfahrerverbandes über die Erwerbung des Flugzeugführerzeugnisses vom Oktober 1911, die 1913 noch immer gültig waren. Diese Prüfung entsprach den Regeln der Féderation Aéronautique Interational und war europaweit einheitlich geregelt. Man musste das 18. Lebensjahr vollendet haben und folgende fliegerische Leistungen erbringen:
„a) 2 Flüge von je 5 km Länge in geschlossener Fluglinie ohne Berühren des Bodens. Nach jedem dieser Aufstiege muß gelandet werden.
zit. n. Albert Rupp/Willy Rosenthal, Die Fliegerschule. Ein Lehrbuch für den Flugschüler (Volkmann’s Bibliothek für Flugwesen 1), Berlin 1913, S. 18 f.
b) Einen Höhenflug mit einer Minimalhöhe von 50 m über der Höhe des Abfluggeländes. Dieser Flug kann zugleich einer der unter a genannten Flüge sein.“
Die unter „a“ geforderten Flüge mussten in Achterform zwischen zwei maximal 500 m entfernten Marken geflogen werden, also 5 Mal 500 m hin und 500 m zurück. Bei der Landung musste das Flugzeug „flugfähig bleiben“,durfte also nicht abstürzen.
Noch im November 1910 hatte die k.u.k. Armee, wie ein Bericht des damaligen Generalmajors Schleyer von Pontemalghera feststellte,
„keinen einzigen Militärpiloten, sondern nur Piloten, die den zivilen, ganz unzulänglichen Sportbedingungen bei der sogenannten Pilotenprüfung einmal entsprochen haben.“
K.u.k. Verkehrstruppen-Brigadekommando (Schleyer) an Kriegsministerium betr. Piloten-Ausbildung, 2.11.1910
Diese „sogenannte Pilotenprüfung“ entsprach dem oben beschriebenen Muster. Schleyer hielt aus gutem Grund eine mindestens siebenmonatige Ausbildung für zukünftige Militärpiloten für notwendig. Die tatsächlich kurz darauf eingeführte Ausbildung war dann aber doch deutlich kürzer, übertraf ihr ziviles Pendant jedoch erheblich. Mangels geeigneter Luftfahrzeuge und der entsprechenden Anzahl an Instruktoren lag der Schwerpunkt aber auf der theoretischen Ausbildung. Von Oktober 1911 ist ein knapper Bericht über die Abschlussprüfung der ersten Generation österreichisch-ungarischer Fliegeroffiziere erhalten:
„Heute haben bei gutem, nur etwas nebligem Wetter einige Offiziere ihre Erstlingsflüge gemacht […]. Die Flüge fielen so gut aus, daß sich alle drei Offiziere für morgen zur Pilotenprüfung melden konnten.“
Neue Freie Presse, 14.10.1911, S. 11.
Zuvor war ein anspruchsvoller 30-stündiger Theoriekurs an der Technischen Hochschule in Wien zu absolvieren, und nach den ersten praktischen Testflügen konnte die ebenfalls im Herbst 1911 eingeführte „Feldpilotenprüfung“ absolviert werden. Im Vergleich zum zivilen Flugzeugführerzeugnis war diese Prüfung verhältnismäßig
anspruchsvoll:
„Als Mindestleistung wird ein 100 km Tagesflug in 500 m Höhe bei einer Windgeschwindigkeit von 8 m/sek mit anschließender Landung im Gleitflug verlangt.“
Im April 1913 wurden die Erfordernisse für k.u.k. Militärpiloten weiter
verschärft. Wer nun zur Feldpilotenprüfung zugelassen werden wollte,
musste zuvor die zivile Prüfung absolvieren, anschließend als Pilot „insgesamt 60 Aufstiege“, davon mindestens drei bei Windstärke 5 (8 m/s und höher), und zehn Flüge mit Ballast von 70 kg erfolgreich durchführen. Die theoretische Prüfung aus den Gegenständen Aeronautische Wetterkunde, Motorenwesen, Flugzeugtheorie und Militärisches Erkundungswesen musste mit mindestens gutem Erfolg abgelegt werden. Anschließend folgte die praktische Feldpilotenprüfung, die aus folgenden Teilprüfungen bestand:
„I. Aus drei Überlandflügen nach vom Kommando der Luftschifferabteilung zu bestimmenden, ausserhalb des Flugfeldes gelegenen, dem Aspiranten auf seiner Spezialkarte zu umgrenzenden Orte, die Landung daselbst, dem Rückfluge von da unter Beihilfe von Hilfsmannschaft beim Abfluge und endlich die Landung auf dem Ausgangsflugfelde mit abgestelltem Motor (abgesperrte Zündspule) innerhalb von 50 m von einer vorher bestimmten Landungsstelle. Die Schwierigkeit der drei Landungsstellen ist bis zur Wahl eines ungeeggten Ackers beim dritten Fluge zu steigern.
k.u.k. Luftschifferabteilung, Bestimmungen für die Ernennung zu Feldpiloten, 21.4.1913. ÖStA, KA, LFT, Karton 267, Gruppe 15 Ausbildung.
II. Aus einem Fluge von mindestens 100 km in einer Mindesthöhe von 800 m (absoluter Höhe) mit einem Ballaste im Durchschnittsgewichte eines Passagiers.“
Ab Herbst 1913 wurden grundsätzlich auch Mannschaften, das heißt Unteroffiziere und Chargen, zur Feldpilotenprüfung zugelassen, sofern sie neben „physischer und moralischer Eignung“ zusätzlich zu den für Offiziere bestehenden Bedingungen auch noch eine Prüfung aus Motorenkunde erfolgreich bestanden und eine erhebliche Werkstättenpraxis nachgewiesen hatten. In der Praxis wurde aber bis Kriegsbeginn nur eine Handvoll Unteroffiziere auch zur Pilotenausbildung zugelassen. Allerdings war 1913 bereits klar geworden, dass ein einzelner Mann nicht die damaligen Anforderungen des Pilotierens und des Beobachtens gleichzeitig erfüllen konnte. Damit war die Entwicklung zu einer separaten, praktisch-orientierten Ausbildung der Unteroffizierspiloten und einer theoretisch vertieften für die Beobachteroffiziere, die im Weltkrieg die Norm wurde, bereits angelegt. Kuriosum am Rande: Anfang 1913 beschloss die Armee kurzzeitig, Feldpiloten nicht mehr am Automobil auszubilden. Es hatte sich herausgestellt, dass „die Kenntnis des Automobilfahrens [für das Fliegen, Anm.] unter Umständen zwar förderlich, aber nicht notwendig“ war, gleichzeitig waren aber erhebliche Schäden an den eingesetzten Automobilen verursacht worden.
Die im internationalen Vergleich äußerst gute Ausbildung, die Österreich-Ungarn schon 1911 eingeführt hatte, zeitigte anfangs auch große Erfolge. Bei den kurz vor dem Weltkrieg gültigen und durch die Féderation Aéronautique Interational bestätigten Weltrekorden war eine Tendenz erkennbar: 1912 hielt Frankreich, die weltweit führende Nation im Flugwesen, bei 45 bestehenden Weltrekorden, an zweiter Stelle folgte schon Österreich-Ungarn mit 18 Weltrekorden. Weit abgeschlagen waren hingegen das Deutsche Reich mit fünf und England mit einem einzigen Rekord. Erst ab 1913 begann sich das Verhältnis rasch zugunsten des Deutschen Reichs, das qualitativ und quantitativ stark aufholte, zu drehen. Unter den österreichischen Rekorden stach einer hervor: Oberleutnant Philipp Ritter Blaschke von Zwornikkirchen [auch: Zwernikkirchen], der im Weltkrieg Kommandant der Fliegerkompagnie 11 wurde, hielt
1912 den Höhenweltrekord mit einem Passagier bzw. mit zwei Passagieren mit 4.360 bzw. 3.580 m. Diese Höhe galt auch noch im Juni 1913 als Weltrekord. Der Geschwindigkeitsweltrekord betrug im Juni 1913 erst 180 km/h, der Höhenweltrekord für Einsitzer 5.850 m.
Der Höhenrekordhalter Blaschke war einer jener Offiziere, die im Oktober 1911 als erste k.u.k. Flieger die neue Feldpilotenprüfung bestanden hatten und dann als Ausbildner fungierten. Angesichts seines Erfolgs erstaunt es nicht, dass man hierzulande 1912 von einem erheblichen „Vorsprung Österreichs auf militäraviatischem Gebiete“ sprach. Der Kommandant der k.u.k.Luftschifferabteilung Milan (Emil) Uzelac meinte angesichts des Rekords gar:
„Wir haben nun vom Auslande nichts mehr zu lernen.“
Neue Freie Presse, 3.7.1912, S. 9.
Dabei steckte das Flugwesen überall noch in den Kinderschuhen. Tatsächlich hatte Österreich-Ungarn zwar nur eine kleine Anzahl an Piloten, aber eine erstaunliche Anzahl an fähigen Konstrukteuren und Aeronautikern hervorgebracht. Ins Hintertreffen geriet Österreich-Ungarn aber rasch in quantitativer Hinsicht, sowohl was die Zahl der Flugzeuge, als auch jene der ausgebildeten Piloten betraf.
Der gesamte Text – mit zahlreichen weiteren Quellen- und Literaturangaben – findet sich im Band Österreich-Ungarns Fliegerasse im Ersten Weltkrieg 1914–1918.
